Elif Shafak, Der Geruch des Paradieses
Im Herbst 2015 hat Elif Shafak sich im Spiegel zur Situation der Frauen in der Türkei geäußert, indem sie die Widersprüche ihrer eigenen Biografie schildert und neuere Beispiele der Unterdrückung türkischer Frauen anführt. Sie geht davon aus, dass die Situation der Frauen sich weiter verschlechtern wird. Wenn wir mit Sorge auf die Rolle der Medien und andere Entwicklungen in der Türkei schauen, wohl leider keine falsche Vermutung.
Wer verstehen will, mit welchen Widersprüchen und Schwierigkeiten türkische Frauen heute leben, kann Shafaks neuen Roman als Beschreibung der zeitgenössischen Zustände dort lesen. Schön herausgearbeitet der Konflikt der Tochter, die mit einer streng religiösen Mutter und einem ebenso überzeugt säkularisiert agierenden Vater aufwächst und entsprechend um ihre Identität ringen muss. Sie geht nach Oxford zum Studium und gewinnt dort zwei Freundinnen und gerät an einen charismatischen Professor, der seine Studenten in extreme Sinnfragen treibt.
Nun kann man die drei unterschiedlichen Frauen, die modellhaft für die Gläubige, die Weltoffene und die Verwirrte (Haupthandlungsperson Peri) stehen, schon etwas recht konstruiert finden. Klar ist, was die Autorin uns damit deutlich machen will und deswegen kann man das aufklärerische Klappern im Hintergrund ganz gut ertragen.
Und den Roman nur als politisch-feministische Stellungnahme zu lesen, ist zur kurz gegriffen. Er bietet eine Fülle von fein gezeichneten Figuren, Gesprächssituationen und halb-ironischen Situationsbeschreibungen mit ganz eigenem Reiz. So ganz nebenbei bekommt man auch ein paar Nachhilfestunden in Bezug auf die Entwicklung der Türkei: Der ältere Bruder Peris wird in den Achtziger Jahren verhaftet und gefoltert, weil er Kommunist ist, der jüngere bezweifelt 2001 in seiner Hochzeitsnacht die Jungfräulichkeit seiner Braut, und damit seine Ehe. Übrigens: Eine wunderbar ironische Beschreibung der Tatsache, dass Politik auch im Bett stattfindet.
Mit vielen geschickt gesetzten Rückblenden nimmt der Roman ordentlich Fahrt auf und wird auch richtig spannend. Der Showdown des Ganzen führt in eine Situation großbürgerlicher Partystimmung, in der die Privilegierten bei Lammbraten und Wildreisrisotto über Europa und Demokratie lamentieren und auf einen Wahrsager warten. Es kommt aber ganz anders…
Elif Shafak, Der Geruch des Paradieses, Zürich, Berlin (Kein & Aber) 2016