(Vor einigen Wochen habe ich mir eine Fitnessuhr gekauft…zum Musikhören…) für Teil 2 bitte ein bisschen scrollen
Hilfe! Meine Uhr erzieht mich…(Teil 1)
Sie gebärdet sich allen Ernstes pädagogisch… ich bin da allerdings etwas empfindlich, wahrscheinlich ist das ein Berufsschaden. Ich erinnere mich an einen bestimmten wohlwollend-betulichen Ton, den zum Beispiel unsere Beratungslehrerin draufhatte und vor dem alle Schüler*innen älter als 10 auf der Flucht waren. Dieser Ich will ja nur dein Bestes-Ton (und ich weiß, was für dich das Beste ist…) ist geeignet, massiven Widerspruch herauszufordern bei jedem, der entschlossen ist, sein eignes Hirn zu nutzen!
Überhaupt stört mich von Anfang an und immer noch, dass alle Geräte dieser Obstfirma mich duzen. Was soll die Anbiederei? Na gut: Ich wollte bei meiner Pensionierung gerne umrüsten wegen der beruflichen Dominanz der M-Firma gegenüber der A-Firma. Alle unsere Schüler*innen waren dort geparkt und keine Sau hätte meine Produkte weiter verarbeiten können. Also mehr so aus Daffke und Protest… und wegen des schicken Designs. Später bin ich reumütig zu einem Office-Paket zurückgekehrt, weil ich das Mikeymouse-Schreibprogramm der Obstfirma furchtbar fand. So macht man halt seine Pensionärserfahrungen!
Komfort wie Datenübertragung besagter Firma ist gut, Speicherplatz auf den Notebooks allerdings ein Witz, so dass man praktisch in die Cloud gezwungen wird. Der Bedienkomfort ist – wenn man den Geräten das Gequatsche abgewöhnt hat gut (mit mir redet kein Apparat!! Keiner! Niemals!), die Preise sind ein echtes Mondprogramm…Aber: Es gibt nur überzeugte Nutzer, geradezu Gläubige des Konzepts und Verabscheuer…na gut, das Wort gibt es nicht, aber der gewiefte Leser weiß, was ich meine…
Aber der Reihe nach:
Die Uhr nun habe ich gekauft, um Musik einfacher dabei haben zu können, also auch ohne Handy in der Muckibude. Nachdem ich mich seit Jahren regelmäßig in die Kabel meines kleinen Einfachplayers verstrickt, geradezu verknotet hatte, habe ich mich nun umgesehen, wie man das Musikproblem lösen kann ohne dieses Verhedderungsprogramm, also per Bluetooth. In meiner Muckibude liefen immer ein paar schicken Typen rum, die ihr Handy bedächtig jeweils in die Nähe der von ihnen malträtierten Geräte wie eine kleine Trophäe hintrugen, es dort gewichtig niederlegten und ihrer Arbeit nachgingen. Das fand ich affig. Ich will mein Handy nicht mit zum Training nehmen. Ich fand heraus, dass die Obstfirma auch eine Uhr baut, die mittels GPS meine Musik streamt und per Bluetooth an meine kleinen Ohrstöpsel überträgt. Genial, dachte ich. Gedacht, gekauft, Schnappatmung über den Preis erfolgreich unterdrückt.
Nun habe ich ja die Einstellung, dass man alles, was man neu besitzt, auch gründlich ausprobiert. Was soll ich sagen? Mein Entsetzen kennt keine Grenzen: Meine Uhr lobt mich, meine Uhr ermahnt mich, meine Uhr ermutigt mich. Da steckt echt eine pädagogische Haltung dahinter. Schrecklich. Wer hat sich sowas einfallen lassen? Ein geistig verirrter Sportpädagoge? Hat der schon mal was von Eigenverantwortung gehört?
Das Schrecklichste stand mir noch bevor: Meine Uhr fordert mich zum Atmen auf! Also sagt mal, geht’s noch? Gebe ich mit dem Erwerb dieser Uhr mein Hirn in Zahlung?
Heute hat sie mich gefragt, ob ich gestürzt bin, nachdem ich die Kissen aufgeschüttelt, also eher etwas kräftig geklopft hatte. Dazu leuchtete dann gleich ein Notfallzeichen auf. Dankenswerter Weise konnte ich aber schriftsprachlich erklären, dass ich nicht gefallen und bei guter Befindlichkeit bin.
Am widerlichsten aber finde ich dieses Du kannst es noch schaffen! Gütiger Gott, was denn? Und will ich das denn?
Musik hören kann man mit der Uhr allerdings sehr schön, aber für pädagogisch vorgeschädigte Menschen ist sie ansonsten eher eine Herausforderung. Achte auf deine Kreise, sagt sie gerade. Jaja, mangelnde Aktivität im Trainingsbereich, denke ich und stutze, verflucht!, meine Uhr manipuliert mich, ich will lieber weiterschreiben…
Ich glaube nicht, dass wir so richtige Freunde werden, meine Uhr und ich…
Teil 2: Hilfe! Meine Uhr erzieht mich…
Na sagen wir, sie versucht es. Warum soll es dieser blöden Uhr anders gehen als jedem Lehrer?
Ich glaub, ich bin mit ihr in die Trotzphase eingetreten, irgendwie Pubertät. Dass es so etwas in meinem Alter auch nochmal geben kann? Erzähl mir keiner was von mit Notwendigkeit ablaufenden Reifungsprozessen! Oder hat schon mal wer bei Erikson von Ausbruch einer Trotzphase bei einer Einundsiebzigjährigen gehört? Es gibt offenbar ein dynamisch-logisch ablaufendes Beziehungsgeflecht zwischen Erzieher (hier: Uhr, erst neu, dann wenige Wochen alt) und Zögling (erst ausgeliefert, dann findig). Ist es nicht so, dass der ganz brave Grundschüler erstmal macht, was die Lehrerin von ihm will? Dann entdeckt, dass man sie austricksen kann? Wenn man ein bestimmtes Stichwort fallen lässt und zuverlässig mit entspannten Minuten rechnen kann, weil erzählt wird und erzählt oder geschimpft und geschimpft oder angeschrieben und angeschrieben…Wenn meine Uhr atmen empfiehlt werde ich nicht 60 sec. wie ein Walross schnaufen, obwohl ab und zu tue ich das jetzt, weil das gar nicht schlecht …aber natürlich nicht, wenn sie das will. Die größte Renitenz ist dann noch, die Uhr abnehmen und die 45 Stufen hoch zu laufen. Ha…und wehe sie maßregelt mich! Heute zu wenig Training, keine Treppen nix. Und, blöde Uhr, geht dich das was an? Manchmal guck ich mir doch aber meine Trainingsringe an und wundere mich, wann ich das gemacht haben soll. Obwohl: Gartenarbeit wird nicht ordentlich protokolliert, da werde ich dann die Lernziele nicht erreichen, aber doch zu meiner allergrößten Zufriedenheit herumwerkeln. Ich glaube so – also mit etwas emanzipierter Entspanntheit- kommen wir beiden dann zurecht. Und heute hat sie absolut bei mir gepunktet: Über die neuen Ohrstöpsel stundenlang Mozart gehört. Herrlich!