Unser drittes Reiseland begrüßt uns mit strengen Kontrollen, dann großer Freundlichkeit und einem der ältesten Orte des Kaukasus: Sheki. Der KhansPalast hat ungeheuer reichhaltig bemalte Interieurs und unglaublich schöne Fenster aus Murano-Glas. In einem Handwerkscenter (in einem ehemaligen Gefängnis untergebracht) erfahren wir etwas über das Verfahren der Verglasung. Das farbige Glas wird sehr kunstfertig in schmale Holzlatten eingefügt, eine Technik (Shebeke), die offenbar bis heute Tradition hat. (Offenbar hatte der Handwerker, der uns sehr geduldig und stolz diese Technik erklärt, in seinem Leben gelegentlich mit gefährlichen Maschinen zu tun; es fehlten einige Finger, was seiner Kunstfertigkeit im übrigen keinen Abbruch tat).
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Ursprünglich vermutlich im 1. Jht n. Chr. wurde die Kirche von Kish gegründet. Sie fungierte zu verschiedenen Zeiten als kaukasisch albanisch-apostolische Kirche, als chalkedonische Kirche innerhalb der georgisch-orthodoxen Kirche und als armenisch-apostolische Kirche. Im Jahr 1836 wurde die albanische Kirche zusammen mit allen aktiven Kirchen in dieser Region, die nicht georgisch oder russisch waren, in die armenische Apostolische Kirche aufgenommen. Heute ist Kish ein kleiner Wallfahrtsort, denn Sheki in der Nähe bekam später mehr Bedeutung (und Einwohner).
Auf dem Weg nach Kish sehen wir den „Wilden Kaukasus“ im schönsten Licht, in schlechten Verhältnissen lebende Geflüchtete und fahren weiter zu einer Karawanserei. Schließlich werden wir bei einer eindruckvollen Teezeremonie sehr freundlich bewirtet.
Der Qobustan (Gobustan) Nationalpark bietet eine Fülle von steinzeitlichen Felszeichnungen und – einfach schöne Landschaft…
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Baku, die Essenz aller Gegensätzte des Landes: Das Kaspische Meer, das sich uns etwas grau verschleiert und tatsächlich geringfügig nach Petrochemie riechend, darbietet, die 19./20. Jht-Architektur, die uns wie Paris an mancher Häuserecke vorkommt und die Gigantonomie der Moderne, die zum Teil wie liegengeblieben wirkt. Dazu die schöne Altstadt, die offenbar Stück für Stück restauriert wird und – das konnte ja nur ich nicht wissen! – die engen Straßen, durch die jedes Jahr , sozusagen um den Jungfrauenturm herum, ein Formel-1-Autorennen stattfindet.
Auf meine ungläubige Nachfrage, wie das denn angesichts des sonst auch schon recht interessanten Verkehrschaos‘ möglich sei, die Antwort, das sei nicht von Interesse. Da macht es bingblong in meinem Hirn und autoritäres Regime leuchtet auf. Stellen Sie sich einmal vor, einmal im Frühjahr würden in Berlin der Ku’damm und ein paar andere Straßen gesperrt und vielleicht ein hübscher Rundkurs um die Gedächtniskirche und dann… Ist es nicht schön, dass das bei uns wirklich heftigen Ärger gäbe? –
Ansonsten sehen wir die angeblichen Segnungen der westlichen Kultur, die vor den verblichenen Fassaden irrlichtert.
Genau besehen beteiligen wir uns an dem, was Williamson von Human Rights Watch „Sportwashing“ nennt, also den Versuchen eines korrupten, autoritären Regimes, sich weltöffentlich als Saubermann zu gerieren. Wenn große Kultur- und Sportveranstaltungen in Baku von westlichen Medien von einem eher verhaltenen Lamento wegen Menschenrechtsverletztungen, ansonsten mit einem Wow! Toll! begleitet werden, sind wir automatisch ein Teil des Problems. Auch wenn jeweils vor Fußball-Europaliga, Eurovision-Song-Contest etc. ein paar politische Aktivisten und Journalisten freikommen, so what? – (Uefa-Chef: „Die Menschenrechtslage ist hier ein Problem, das ist sie in anderen europäischen Staaten jedoch auch“. Aha, erstens stimmt das so nicht, zweitens ist dieser Whataboutism ein alten Trick aus der Abteilung „Paul hat aber auch in der Nase gebohrt!“) Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit werden unterdrückt und das seit Jahrzehnten von einem Familienclan, der inzwischen alle wichtigen Ressourcen kontrolliert. Da wäre schon mehr als ein Schulterzucken angebracht.
Und die Politik? Letztes Jahr war unsere Kanzlerin in Aserbaidschan (Sie erinnern sich? Sie musste in ihrem Staff einen Begleiter austauschen, weil er es gewagt hatte Berg Karabach zu besuchen). Sie hatte wohl recht viel Kompromissbereitschaft im Gepäck. Platz 6 auf der Liste der Erdöllieferanten der BRD – jaa- und die Gaspipeline vom Kaspischen Meer nach Europa- sind gute Gründe über Menschrechte nicht zu wild zu diskutieren. Und in Georgien, das sich in der demokratischen Entwicklung („Samtene Revolution“) gerade ein Stück weit bewegt hat, sagte sie, Aserbaidschan sei auf dem Weg zur Demokratie „noch nicht so weit“ wie Georgien. Hat da wohl wirklich keiner laut aufgeschrien?
Bei unserer Zu-Fuß-Einreise nach Aserbaidschan haben wir auch etwas getan, was uns nur langsam dämmert: Wir sind nach Asien eingereist, so westlich das schöne Land sich auch in Baku gibt. Nach zwei Reiseleiterinnen in Armenien und Georgien, berufstätigen, mehr oder minder christlich-religiösen lebenslustigen Frauen, erwartet uns am Ende der Brücke durchs Niemandsland ein ungemein sympatischer junger Reiseleiter, der manchmal Dinge sagt, die bei mir geradzu zu Schnappatmung führen. Er ist offenbar auf zurückhaltende und konsequente Weise religiös (96% der Bevölkerung ist muslimisch, allerdings im Gegensatz zu ihm in einer oft recht säkularen Weise), hat oft seinen Gebetsteppich dabei, erklärt in gutem Deutsch die Geschichte seines Landes, spricht dann nebenbei davon, dass Frauen ins Haus gehören. Wir verstehen uns gut, so dass ich nochmal erstaunt nachzufragen wage und freundlich dieselbe Antwort bekomme. Die hohen Mauern um die Grundstücke seien auch dazu da, dass fremde Männer nicht ihre Frauen sehen könnten. Ja, da sei er auch dieser Meinung. Und auf unsere Frage, ob er sich ein Leben in Deutschland vorstellen kann, sagt er, das halte er für schwierig, weil seine Kinder dann ja u.U. „Händchen haltende“ gleichgeschlechtliche Paare aushalten müssten. Mir wäre ja vieles eingefallen, was ihm an Deutschland nicht gefallen könnte, aber das verschlägt mir die Sprache (was zugegeben nicht oft passiert) Diese freundliche Offenheit ist irgendwie entwaffnend – ein Kind seiner Kultur – durch und durch.
Es gibt auch (einige wenige) Christen in Aserbaidschan: die Udi. Wir fahren zum Dorf Nij, in dem dieses sehr alte Kaukasusvolk am christlichen Glauben festgehalten hat.
Auf dem Rückweg nach Baku:
Land des Feuers wird noch einmal deutlich durch den Feuertempel Ateshgah und Baku verabschiedet sich mit vielfältigen Eindrücken, Durchblicken und Farben.
Was wir nun alles noch versäumt haben an Ein- und Durchblicken, an wunderbaren Möglichkeiten, entzieht sich unserer Kenntnis, denn drei Länder in der kurzen Zeit sind schon eine Nummer. Auf jeden Fall aber bildender und interessanter als drei Wochenenden politische Bildung!
Also denn:
Ganz zum Schluss ergattern wir Karten in der Philharmonie von Baku. Für mich ein persönliches Highligh, denn der Pianist (Miroslav Kultyshev) spielt mitreißend Schostakovich. Wie schön! – Jetzt die Reise nochmal, damit wir alles ordnungsgemäß verstehen und verdauen können!