Geschüttelt und gerührt: Reiseimpressionen Nepal
„Geschüttelt, nicht gerührt“, gilt als eines der bekanntesten Filmzitate. Wir erlebten Nepal geschüttelt UND gerührt.
Geschüttelt: Es gibt in Nepal 3 Arten von Straßen: Schlechte, sehr schlechte und besonders schlechte. So eine Rundreise schüttelt einen ordentlich durch. Ich hatte nach einer Zeit eine Technik entwickelt (Nackenhörnchen, Musik in den Ohren und bei Bergstraßen den Blick streng auf die Botanik der Böschung gerichtet, ab und zu einen Schwenk auf die atemberaubend schöne Landschaft wagen). 170 km können so leicht zur Tagesreise werden, in und um Kathmandu kommen gerne noch ein paar Staus hinzu.
Gerührt: Trotzdem keinen Moment die Reise bereut, ganz oft gerührt von so viel Schönheit der Landschaft, der Architektur, der Liebenswürdigkeit der Menschen. Diese Menschen sind bei allem Elend so freundlich, so offen und fröhlich, dass es einem manchmal geradezu den Atem verschlägt. Sushil, unser toller Reiseleiter, ließ keinen Zweifel daran, dass er den Tourismus für einen Baustein zur Rettung der Nepalesen hält. Dieses kleine Land, eingeklemmt zwischen und drangsaliert von Indien und China braucht Hilfe. Tourismus könnte ein Element sein, Hilfen zum Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben von 2015 sieht man an vielen Stellen, aber das wird nicht reichen.
Also bitte: Nach Nepal reisen! Sushil und ich empfehlen es deswegen und für eine andere Sicht auf die Welt!
Wir reisten zurück am 25.4.2019, das war der 4. Jahrestag des verheerenden Bebens von 2015. Wenige Tage zuvor gab es ein kleines Nachbeben, das unseren Frühstückstisch etwas verruckelte, über das sich aber außer uns niemand besonders aufhielt. Wäre es wie 2015 ein Beben mit 7,2 und nicht mit 3,2 gewesen, wäre das sicherlich anders gewesen.
Überhaupt und sowieso kamen wir uns ständig ein bisschen wie aus der Zeit gefallen vor. Wir kamen an im Jahre 2075 (ja, tatsächlich!), es folgte der Neujahrstag 2076 (in unserer Zeitrechnung der 14. April 2019).
Das war ein großes Glück, denn überall fanden wir Opferfeste, Rituale, schön gekleidete und geschmückte Menschen vor. Der Samstag ist in Nepal der Sonntag und die angekündigte Verkehrsruhe in Kathmandu entpuppte sich als Großstau, weil viele Menschen zu den Tempeln und Opferstätten unterwegs waren. Sehr spannend!
Schutt, Steine, Schönheit: Kathmandu
Kathmandu hat für mich immer noch den Klang von Hippie-Trail, weißen Berggipfeln und kiffenden Blumenkindern. Da sind wohl ein paar Jahre spurlos an mir vorübergegangen. Cat Stevens’ Song („Katmandu, i’ll soon be seeing you and your strange bewildering time will hold me down”) ist immerhin von 1970 und auch Bob Segers Sehnsuchtstext (“I think that’s really where I’m going to – if I ever get out of here – I’m going to Katmandu) von 1975.
Und nu?
Der Anflug ist leicht vernebelt, trotzdem schön, die Ankunft in der Wartehalle schon mal desillusionierend: Lange Schlangen für ein Visum, gestaffelt nach Tagen zu bezahlen. Also wichtige Offizielle gibt es offenbar überall in der Welt, auch an Sehnsuchtsorten. So viel Gestempele und Geklebe habe ich selten bei Einreise erlebt und dann – dieses grandios freundliche Lächeln des Uniformierten und lachend der Hinweis, mit diesem Visum könne ich sogar noch einen Tag länger bleiben als geplant. Die Luft ist warm und feucht und unser Reiseleiter Sushil wartet schon auf uns.
Dankenswerter Weise mit dem Bus!
Ich bin völlig entgeistert über die Verkehrsverhältnisse. Die Stadt ist viel zu schnell gewachsen, platzt aus ihrer Infrastruktur wie aus einem viel zu engen Anzug. Stromkabel wie Luftschlangen ineinander verdreht, aufgerissene Straßenzüge, stockender Verkehr, lautes Hupkonzert – aber ich sehe niemanden, den das aufregt. Sensationell, von dieser Gelassenheit können wir uns schon mal eine dicke Scheibe abschneiden. Und das Hupen – ist nicht böse, ärgerlich, verachtend („du Idiot, geh doch mal da weg!“), sondern freundliche Kommunikation: „Ich komme und überhohle, das Motorrad passt schon genau noch zwischen uns…“
Von der völlig verrumpelten Hauptstraße dann in den Innenhof des Hotels („Ui, da passt doch der Bus nicht durch…doch!“) in eine kleine Oase mit Blumentöpfen voller Löwenmäulchen, Iris, Begonia, Bouganville, Ipomeen …Ich sehe alle Pflanzen von unseren Balkonen und Gärten, nur eben wie bei uns im Hochsommer. Welch wunderbare Oase! Als des Nachts ein Gewitter mit starkem Regen niedergeht, sehe ich aus dem Hotelfenster zur Straßenseite, wie sich die Staub- und Schuttpiste in kurzer Zeit zu einer Schlammwüste wandelt. Au weia!
Bilder bitte anklicken:
Schutt, Steine, Schönheit:
Swayambunath (Affentempel). Von diesem Stupa hat man eine schöne Sicht auf Kathmandu, wenn es nicht gerade diesig ist. Buddhas allwissenden Augen macht das natürlich nichts, uns und der Kamera schon…
Opfergaben in Kathmandu (junge Büffel), zufällig bei unserem ersten Spaziergang durch Kathmandu beobachtet. Wir fanden dieses und ähnlich blutige Opferrituale nicht so richtig schön, da mochten wir die geköpften Kokusnüsse beim Hindutempel Varati (Fewa-See, Pokhara) schon viel lieber.
Das Haus der Kumari von Kathmandu wirkt eher bescheiden und traditionell. Im Innenhof tummeln sich geschmückte Menschen, die auf ihr Erscheinen im Fenster warten. Fotografiert werde darf sie nicht (dafür werden Postkarten mit ihrem Portrait , dem Anlitz eines stark geschminkten Mädchens, am Eingang verkauft). Die „verehrte Göttin“, wie man sie anreden müsste, erscheint an einem der Fenster und wir glauben schon sehr lange nicht mehr einen derart gelangweilten, angeödeten Menschen gesehen zu haben. Göttin sein muss wohl echt langweilig sein. Um die nepalesische Traditon dieser Kindgöttin ranken sich verschiedene Erzählungen. Grundlage ihrer Existenz ist offenbar die Verärgerung der Göttin Taleju, die durch die Vergötterung eines makellosen Newarmädchens besänftigt werden sollte und soll. Die Gründe für die Verärgerung besagter Göttin lagen wohl im Fehlverhalten des Königs von Kathmandu, der sich entweder nicht an das Jugendschutzgesetz gehalten hat bei seinen vielen Liebschaften oder in besagte Göttin verschossen war, was ein No-Go erster Güte gewesen sein muss. Immerhin darf die verehrte Göttin inzwischen Lesen, Schreiben und andere Sachen lernen, nachdem eine ehemals amtierende Göttin ordentlich Rabbatz gemacht hat, weil sie in der Pubertät und später dann alles nachholen musste, was sie als Göttin nicht lernen durfte. Merke: Auch Göttinnen können sich emanzipieren!
Zwischendurch mal. Was mir sofort auffiehl, ist, dass es überall mo:mos zu essen gab, das sind kleine Teigtaschen, die mich schon wegen ihres Namens interessiert haben. Inhalt war Buff (Wassebüffel), Chicken oder Vetsch (vegetarisch). Die fand ich lecker, aber hauptsächlich wegen der köstlichen Soße mit ordentlich Knoblauch, die in kleinen Schälchen dabei stand…
Weg zum Chitwan Nationalpark. Holprige Straßen, bunte Lastwagen und ein Restaurant namens Hamlet.
Chitwan Nationolpark. Einbaumfahrt den Fluss entlang…ich muss gestehen, ich hatte Sorge, weil besagter keinen Kiel hat und entsprechend kippelig wirkte. Die Gaviale sind aber Fischfresser („nur ab und zu mal ein kleiner Tourist…“, Scherz eines Guides; lt Wikipedia gibt es aber keine glaubhaft belegten Angriffe auf Menschen: https://de.wikipedia.org/wiki/Gangesgavial ) . Leider kann man die ganz Atmosphäre schlecht im Bild festhalten. Das Faszinierendste waren nämlich die Geräusche! Zuletzt wurden im Chitwan 543 Vogelarten beschrieben. Was für ein wohltuendes Geschrei, auch nachts!
Lumbini: Fröhliche Pilger, Mönche und Andacht
Lumbini gilt als Geburtsort Buddhas. Dort treffen wir viele lustige Pilgergruppen, einen österreichischen Mönch, schöne Bauwerke und Blumen. Der Boddhibaum (Ficus religiosa) dort ist beeindruckend. Boddhibäume dürfen nicht gefällt werden, auch wenn sie Gebäude zerstören. Respekt!
Auf dem Weg von Lumbini nach Tansen geraten wir in einem kleinen Bergdorf in eine Straßensperre und müssen warten, bis wir mit Polizeibegleitung weiterfahren dürfen. Es hat zuvor Überfälle und Sprengungen der Maoisten auf der Straße gegeben. Die Stimmung ist ein wenig gespannt, die Luft heiß und flirrend.
Der Ort besteht nur aus wenigen Häusern, einer kleinen Schlucht und wenigen freundlichen Menschen. Ich „unterhalte“ mich mit einer Frau, die einen Flicken in eine orangefarbene Pluderhose mit einer Nähmaschine setzt, die bei uns keiner mehr bedienen könnte. Sie ist -wie eigentlich alle Nepalesen- außerordentlich freundlich und erklärt mir die Technik, wie sie diesen Flicken einsetzt. Sie bietet mir ihre Bank vor dem Haus zum Sitzen an und Tee. Ich danke und erkläre, dass wir wohl gleich weiter müssen. „Germany?“, fragt sie noch einmal nach und schüttelt ungläubig den Kopf. Was für eine entwaffnende (sic!) Freundlichkeit!
Tansen: Schöne Ausblicke, schöne Menschen, schöne Geschäfte…aber auch schlimme Zustände, ganz wie man es betrachten will. Symptomatisch diese krude Mischung aus Coca Cola (an jeder Ecke zu sehen) und Tradition; das Mädchen, das seine Aufgaben macht, während es den Laden bewacht; die Weberei. Wir erfuhren später, dass es sich um Wanderarbeiter aus Indien handelt, die unter diesen Bedingungen arbeiten müssen:
Weberei in Tansen (den ohrenbetäubenden Lärm und den Staub dürfen Sie hinzuphantasieren):
Auf dem Weg nach Pokhara gibt es immer wieder tolle Ausblicke. Ein Jeep oder Bus ist offenbar erst dann voll besetzt, wenn mindestens doppelt so viel Menschen wie vorgesehen darin und eine Ziege darauf sind. Und die typische Küche sieht so aus:
Druckkochtopf, Wok, Wasserkessel.
Sagt der Wok zum Schnellkochtopf: „Liebst du mich?“ „Nein!“ „Wirklich nicht?“ „Nein, wirklich nicht!“ „Warum pfeifst du mir dann immer nach?“ (Witz von Sushil) In einem Schnellrestaurant sitzen unser Fahrer und sein Assistent zu unserem Amusement unter einem Fußballposter aus Liverpool: You’ll never walk alone! Unser Fahrer und sein Assistent waren die leibhaftige Antwort auf die nepalesischen Straßenverhältnisse, große Könner mit großer Geduld!
Pokhara hat uns sehr gut gefallen, der Fewa(Phewa)-See, in dem sich die Berge spiegeln, die kleine Insel im See, lange Schlangen von festlichen Opfernden vor dem dortigen Tempel. Uns war auch sympathisch, dass dort hauptsächlich Kokosnüsse (diese allerdings martialisch zerhackt von einer Art Fallbeil) geopfert wurden, dazu Reis und ab und zu etwas Federvieh. Der Ort wirkt (offenbar duch Tourismus) nicht so arm und bietet viele schöne Ausblicke.
Fewa-See
Varahi-Tempel auf der Insel im Fewa-See
Varahi ist die Muttergöttin. Wir sahen viele Familien mit Kindern opfern. Die Eltern dieses kleinen Jungen bat ich gestisch um ein Foto. Sie antworteten sehr freundlich und schenkten uns 2 Hände voll Reis, bedeuteten uns dann, diesen als Opfer für die Fische in den See zu werfen und erklärten, nun würden wir das ganze neue Jahr hindurch Glück haben. Was für eine schöne und freundliche Geste! Die Fische an dieser Stelle des Sees waren seehr dick!
Nach noch einer Tempelbesichtigung, wo gerde geheiratet wird, machen wir uns auf den Weg nach Bandipur. Wir überqueren (zu Fuß natürlich) eine der vielen Hängebrücken, die oft die einzige Verbindung zwischen zwei Tälern sind.
Bandipur ist so ein kleines Rothenburg ob der Tauber in Nepal. Alte Häuser mit viel Charme und viele schöne Blumen.
Bandipur hat ein Mütterheim und ein Krankenhaus. Die Zahnarztstation wollten wir nur von außen sehen..und waren recht bedenklich gestimmt.
Auf dem Weg nach Dhulikhel entdecken wir diesen mit adidas und Liverpool dekorierten Lastwagen:
Das Hotel in Dhulikhel hatte im Prinzip einen wunderbaren Blick aus allen großen Fenstern auf den Himalaya, im Detail war es diesig…ich habe mich schnell mit der wunderschönen Gartenanlage getröstet. Der Gärtner war erstaunt über den Gedanken, bei mir sähe es ähnlich aus auf dem Balkon, das Ganze dann aber erst im Hochsommer…
Bhaktapur ist eine interessante Mischung aus Freilichtmuseum, Wiederaufbau und quirligem Leben.
Vom Schirmreparateur (ja wirklich) bis zu lustigen touristischen Angeboten und Ansichten gibt es in Baktapur alles. Auch bunte Wasserwagen (nicht Waagen):
..und eine ganz und gar nach altem Gusto arbeitende Druckerei mit sehr schönen Produkten auf Daphnepapier. Handmade von vorne bis hinten:
Nachdem uns bis auf in Pokhara der Blick auf die Berge wegen diesiger Sicht verwehrt war, nahmen wir den bequemen Weg mit Yeti-Airlines (im Gegensatz zu besagtem Yeti gibt es sie tatsächlich und sie machte einen sehr aufgeräumten Eindruck). Jede*r bekam einen Fensterplatz und durfte auch kurz ins Cockpit schauen. Der Anblick des Gebirgsmassivs ist atemberaubend schön und da oben ist es eben überhaupt nicht diesig.
Und Fazit? Ein wundervolles Land mit wundervollen Menschen. Und doch: Die Armut wohnt überall, die Infrastruktur könnte kaum schlechter sein und doch sind die Menschen freundlich, scheinbar oder tatsächlich? zufrieden. Wir mit unserem ewigen Gemeckere und unserer Unzufriedenheit dürfen da schon mal genauer hinschauen. Wenn Sie etwas tun wollen: Hinfahren, der Tourismus hilft dem Land und – um Sushils Wort zu gebrauchen- betrachten Sie jeden Kauf dort als Spende für das Land. Also, ich habe nun viele schöne bunte Schals und ganz viele Windpferde (Gebetsfahnen), die meine guten Wünsche für die Nepalesen und das schöne Emsland in den Himmel tragen werden..und Dank an die stillen Helden, die uns mit Geduld durch dieses Land voller Gegensätze und schlechten Straßen kutschiert haben. Danke auch Sushil…